Geht es beim Glückspiel nun um mehr Glück und Geld oder um mehr Freiheit und Elend oder um was ganz anderes? Das hatte Volker Thomas sich und uns gefragt, als er vor einem halben Jahr im Landesblog über die Konzepte der Parteien zum Glückspielmonopol und über die Frage der Netzfreiheit in diesem Zusammenhang sinnierte. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Keine Antwort ist aber eben auch: keine Antwort.Gestern nun (11. April) ist der aktuelle Entwurf des Glückspielstaatsvertrages, dem Ministerpräsident Peter Harry Carstensen am 6. April als einziger Ministerpräsident die Zustimmung verweigert hatte, durchgesickert.
Für seine Ablehnung des Entwurfes war er von der Opposition kritisiert worden. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ralf Stegner, sah Nachteile auf Schleswig-Holsteins Bürger zukommen, weil nun z.B. der deutsche Lottoblock Schleswig-Holstein ausschließen könne und so kein Bürger in Schleswig-Holstein mehr an den Jackpot-Ausschüttungen teilnehmen könne — führe er nicht ins benachbarte Hamburg zum Lotterieloskauf. Auch die Grünen und der SSW lehnten ein Alleingang Schleswig-Holsteins ab.
Die Regierungsfraktionen, immer wieder in der Kritik wegen ihrer Zusammenkünfte mit Vertretern der europäischen Wettindustrie, waren voll des Lobes ob der Ablehnung des Entwurfs durch ihren Ministerpräsidenten. Für den liberalen Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki und CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher ist die politisch gewollte Beschränkung der Konzessionen auf sieben europarechtlich nicht haltbar; Anti-Diskriminierungs-Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof wären die zwangsläufige Folge. Auch die Höhe der Konzessionsabgabe (16, 67 Prozent sind in der Diskussion) sei international nicht wettbewerbsfähig. Das könne man an Frankreich sehen, deren Steuersatz von 7,5 Prozent auf den Spieleinsatz dazu geführt habe, dass allenfalls ein Fünftel des Grau- und Schwarzmarktes nun kontrolliert würden. Gegenüber dem Spiegel hatte Frank Zabel, Sprecher der FDP-Landtagsfraktion in Kiel, 2 bis 2,5 Prozent für realistisch gehalten.
Neben den beiden rechtlichen beziehungsweise strategischen Argumenten wissen CDU und FDP in Kiel ein weiteres, politisches Pfund in ihrer Hand: Sie hatten sich schon vor einen Jahr gegen Netzsperren als im Ergebnis sinnloses und politisch verfehltes Mittel gegen (in Deutschland illegale) Glücksspielangebote im WWW ausgesprochen. Tatsächlich sieht der Entwurf der CDU und FDP keine Netzsperren oder vergleichbares vor. Monika Heinold, Landtagsabgeordnete der Grünen, die es gut fand, wenn der Markt für Sportwetten kontrolliert geöffnet werde und die (bisher illegalen) Angebote den strengen deutschen Spieler- und Jugendschutzbestimmungen unterlägen, wurde deshalb von der liberalen Abgeordneten Ingrid Brandt-Hückstädt des Befürwortens von Netzsperren bezichtigt. Die finanzpolitische Sprecherin der Bündnis-Grünen wies das zurück, nicht ohne anzumerken, dass die Idee der Netzsperren von Landesregierungen ausgedacht worden seien, die zu einen Drittel (fünf) mit Stimmen der FDP gewählt worden wären. Woraufhin heute CDU und FDP im Kieler Landtag die Angegriffene der Kehrtwende zeihten.
Es gibt, soweit mir ersichtlich, keine Bestätigung, dass es sich bei dem um den gestern geleakten Staatsvertragsentwurf um den „echten” Entwurf handelt. Allerdings ist die Form der Darstellung und der sprachlichen Ausdruck sehr nah an dem zu erwartenden Formulierungen. Er erscheint stimmig, auch wenn es sich wohl nicht um die, wie die Piratenpartei vermutet, „wahrscheinliche Endversion des GlückStV-Vertragstextes” handelt: Eckpunkte wie Textentwurf tragen bzw. beinhalten das Datum 04.04. und zeigen Entscheidungsalternativen auf, die offensichtlich am 06.04. im Rahmen der Sitzung jedenfalls teilweise gefällt wurden).
Liest man den Entwurf, dann kann sich nicht des Eindrucks nicht erwehren, hier hätte der Deutsche Lotto- und Toto-Block seine Wunschliste veröffentlicht: Ausländische Konkurrenz wird zwar formal beschränkt zugelassen, aber faktisch durch erdrückende Gebühren klein gehalten. Die missliebige Konkurrenz im Internet wird endlich ausgesperrt. Lotto und staatsnahe ODDSET-Sportwetten dürfen aber für sich werben und ins Internet.
Forderungen, die bei nüchterner, distanzierter Betrachtung kaum als durchsetzbar zu erkennen sind, werden in merkwürdiger Art und Weise zusammengebastelt. Bei Staatsverträgen scheint das Methode zu sein:
- Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag las sich über weite Strecken wie ein auf einem fremden Stern geschriebener Besinnungsaufsatz der Kommission für Jugendschutz.
- Der Entwurf des GEZ-Staatsvertrags ist, inklusiver seiner Entstehungsgeschichte, ein datenschutzrechtliche Unverschämtheit der öffentlich-rechtlichen Medien und der GEZ.
Es ist an der Zeit, dieses für lobbyistischen Einfluss besonders anfällige und im Parlamentarismus merkwürdig daherkommende regierungsnahe Instrument, dem öffentliche Kontrolle fast völlig fehlt, zu den Akten zu legen. Am besten noch vor der nächsten Föderalismusdebatte.
Denn man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass der bisherige Entwurf keine parlamentarische Mehrheit in Deutschland finden kann. Weder FDP und Grüne können es sich aus unterschiedlichen Gründen erlauben, Glaubwürdigkeit und Klarheit in ihren Wählerpotentialen zu verlieren. Die in Bremen mitregierenden Grünen haben eine Zustimmung heute schon ausgeschlossen. Damit sind es nur noch maximal 13 Länder, die ja sagen könnten. Dass da noch ein Land die Nerven verliert (und vielleicht insgeheim hofft, auch Standort einer lukrativen Lizenzvergabe zu werden), ist nicht unwahrscheinlich. Und kommt nur noch eine weitere Regierung zur Besinnung, ist das Quorum, dass der Vertrag sich gesetzt hat (13 zustimmende Länder) schon verfehlt.
Wer weiss, vielleicht lernen sogar SPD und CDU, ebenfalls aus unterschiedlichen Gründen von Regulierungen fasziniert und trotz der Wählerverluste immer noch schwerfällig wie Tanker, dass der – in der Sache ja nicht gänzlich abzulehnende – Schutzbedarf der Bürgerinnen und Bürger in der Informationsgesellschaft nicht mehr so realisiert werden kann, wie – vielleicht – noch vor 20 Jahren. Und auch die aus guten Gründen staatsnah organisierten Unternehmen wie Lotto oder der öffentlich Rundfunk sollten ein Eigeninteresse daran haben, ihre demokratisch hergeleitete Legitimation nicht zu verlieren.
Udo Vetter hat deutlich gesagt, woran der Vertragsentwurf krankt.
Man muss nicht, wie das Thomas Knüver anscheinend passiert ist, das Vertrauen in die Lernfähigkeit der Parteienlandschaft komplett verlieren. Ich werde weiterhin an die dicken Bretter glauben. Denn die Freiheit des Netzes ist zunächst mal die Freiheit der Bürger. Daran müssen wir die Vertreter der Bürger in den Parlamenten immer wieder erinnern. Auch Verbände und Initiative wie die Digitale Gesellschaft können im Endeffekt nicht anders, als den Parteien das 1x1 der heutigen Welt zu erklären. Man mag sie nicht leiden können, die Parteien. Man mag ihnenauch nicht mehr viel glauben. Aber wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen.
Ich gebe zu, dass diese Zuversicht immer wieder auf Messers Schneide steht. Zum Beispiel, wenn der Glückspiel-Experte der SPD, Andreas Beran, heute in einer Presseerklärung schreibt, dass Schleswig-Holstein sich den anderen Ländern anschließen solle, der Vertrag europarechtskonform ausgestaltet werden solle – aber über Netzsperren kein Wort verliert. Schlimmer noch: Der Antrag will, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag „die politische Einigung der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 6. April 2011 zur Novellierung des Glückspielstaatsvertrages” unterstützt. Aha. Bitte mitschreiben, ausdrucken, ausschneiden und dann-an-die-Wand-kleben, liebe SPD:
- Wer diesen Staatsvertrag unterstützt, will Netzsperren.
- Wer Netzsperren will, ist höflich gesagt, bescheuert. Denn:
- Netzsperren sind nicht effektiv, häufig ungenau und ohne größeren technischen Aufwand zu umgehen.
- Netzsperren tragen nicht zur Bekämpfung von [hier bitte Ihr Thema eintragen] bei.
- Netzsperren benötigen eine Infrastruktur, die mißbraucht werden kann
- Netzsperren sind verfassungsrechtlich höchst problematisch.
- Schlimmer als Netzsperren sind: Befürworter von Netzsperren.
Wenn der Staatsvertrag in der vorliegenden Fassung doch käme, dann hätten wir eine umfangreiche Infrastruktur zur Zensur Netzüberwachung außerhalb Schleswig-Holsteins, einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit und darüber hinaus ein nicht nur netzpolitisch merkwürdiges sondern auch föderal gewöhnungsbedürftiges Konstrukt: In Deutschland, nicht aber in Schleswig-Holstein, gäbe es Netzsperren und einen stark regulierten Glücksspielmarkt. Man könnte lustige Bilder malen, wie Menschen nach Schleswig-Holstein reisen, um ungestraft und legal ins Internet zu gehen. Man kann sich in Phantasien ergehen, wie die Länder aus dem monotonen Einheitsbrei des bundesrepublikanischen Einheitsbrei ausbrechen und sich eigene Standortvorteile erobern. Tatsächlich macht es aber nur die Absurdität deutlich, die entstehen muss, wenn man in fensterlosen Hinterstübchen den Plan entwirft, in einer vernetzten Welt eine Insel ohne Brücken zu bauen. Wobei die Insel nicht Schleswig-Holstein ist, sondern das sich abschotten wollende Gebiet der Beitrittsländer zum Staatsvertrag.
Darauf zu hoffen, dass letztlich Verfassungs- oder EU-Gerichte das richten werden, wäre unpolitisch. Wir müssen öffentlich reden über den gesellschaftspolitisch richtigen und realpolitisch gangbaren Weg, mit Glücksspiel umzugehen. Und wir müssen öffentlich handeln gegen den Entwurf des Staatsvertrages, der sich in Wirklichkeit nicht um das Thema Glückspiel kümmert sondern in erster Linie eine Bestandgarantie für Lotto ist — und en passant den Einstieg in eine Überwachung der Bürgerinnen und Bürger schafft.
Ach so: Vor die Frage gestellt, ob ich Netzsperren in Kauf nähme, um weiterhin Lotto spielen zu können: 6 Richtige mit Superzahl haben eine Wahrscheinlichkeit von 0,00000071511 Prozent. Statistisch gesehen muss man wahrscheinlich 42 Mal beim Kegeln am Herzinfakt sterben, bis man „dran ist” mit dem Gewinn. Das ist also kein Argument.
Schön finde ich die Fußnote 33 im geleakten Dokument – egal ob es echt ist oder nicht. :-)
Schöner kann man gar nicht sagen: Wir spielen nicht mit – und es wäre klüger für Euch, wenn Ihr das auch lassen würdet.
Jetzt müssen CDU und FDP nur noch hart bleiben. Glücklicherweise haben sie sich bereits so weit aus dem Fenster gelehnt, dass sie kaum noch unter das gemeinsame Dach zurück können.
Den Satz „Tatsächlich sieht der Entwurf der CDU und FDP keine Netzsperren oder vergleichbares vor.” habe ich — inklusive der Verlinkung auf den Entwurf der beiden Fraktionen — nachträglich hinzugefügt, um den LeserInnen eine komplettere Information zu ermöglichen.
Zu Olivers Kommentar: Ob man bei der Fußnote einen wissenden Blick auf den Kalender geworfen haben mag..? Denn im Herbst gibt Sachsen-Anhalt den Vorsitz der MPK an Schleswig-Holstein ab. Damit liegt auch die Federführung der Koordination der den GlüStV ausarbeitenden CdS-Arbeitsgruppe an der Förde.
Zu europarechtlichen Bedenken: Schleswig-Holstein war klug beraten, rechtzeitig eine juristisch „brauchbare” Fassung erarbeitet zu haben, die dann zur Notifizierung bei der EU-Kommission eingereicht werden konnte. Das hat die Arbeitsgruppe der Chefs und Chefinnen der Staatskanzleien wohl nicht vor. Schleswig-Holsteins Fassung wäre dann die einzig vorliegende, die europarechtlich bedenkenlos wäre.
Bundesländer, die Rechtssicherheit und/oder :-) zusätzliche Einnahmen suchen, könnten sich diesem Entwurf anschließen und ihn in eigenes Landesrecht umsetzen. Das fügte sich zeitlich auch prima in die von Swen Wacker beschriebene, zu erwartende Dynamik des Quorums, das für eine Ratifizierung der GlüStV-Novelle erforderlich wäre.
Es bleibt spannend und — gleich wie man zum der causa selbst steht — endlich gibt es nach der Haltung zur Kernkraft ein weiteres überzeugtes liberales Alleinstellungsmerkmal im Landeshaus.
Nehmt es mal positives Zeichen, dass in unserer Pressemitteilung nichts zu Netzsperren stand ;-). Da sie im Ernstfall sowieso leicht zu umgehen sind, dürften die MPs auch nicht das damit verbundene Ziel erreichen können. Die Diskussion um die Netzsperren ist also eigentlich überflüssig und ich verstehe auch nicht, warum sie es in den Entwurf geschafft haben.
Das heißt aber nicht, dass man in Deutschland nun alles legalisieren müsste, was sich technisch nicht ausschließen lässt. Mir ist z.B. schon klar, dass es z.B. technisch nicht möglich ist, den Zugriff von Minderjährigen auf Pornografie auszuschließen, oder dieses bei ausländischen Servern strafrechtlich wirksam zu verfolgen. Legalisieren muss man das als Konsequenz aber nun auch nicht zwingend.
Eine Gleichsetzung, wer gegen die völlige Freigabe des Glücksspielmarktes (mit allen weitreichenden Konsequenzen) ist, sei automatisch für Netzsperren halte ich für sehr gewagt und hat auch etwas von einem Ablenkungsmanöver.
Abschließemd möchte ich anmerken, dass ich das Instrument des Staatsvertrages zumnehmend kritisch sehe, da es von der Exekutive ausgehandelt wird und es für die Legislative kaum möglich ist, Verbesserungen vorzunehmen. Dieses Vogel-friss-oder-stirb-Prinzip gibt es sonst bei keiner anderen Form der Gesetzgebung. Es ist nämlich normalerweise nicht immer so, dass Parlamente die Gesetzesvorlagen ihrer Regierungen unverändert übernehmen. Auch Regierungskoalitionen bringen häufig entscheidene Verbesserungen ein, wie wir z.B. bei der neuen Amtsordnung noch sehen werden. Zugegebenermaßen ist mir allerdings auch bisher kein besseres Modell für länderübergreifende Regelungen eingefallen. Man könnte natürlich darüber nachdenken, solche Kompetenzen auf den Bund zu übertragen, dann würde die notwendige intensive parlamentarische Diskussion im Bundestag stattfinden können. Beim Rundfunk steht dem aber der Art 30 GG gegenüber.
Kai Dolgner schreibt: Eine Gleichsetzung, wer gegen die völlige Freigabe des Glücksspielmarktes (mit allen weitreichenden Konsequenzen) ist, sei automatisch für Netzsperren halte ich für sehr gewagt und hat auch etwas von einem Ablenkungsmanöver.
Diese Aussage wäre in der Tat gewagt. Das gilt allerdings nicht für die Aussage: Wer für diesen Glückspielstaatsvertrag ist, der ist für Netzsperren. Daran gibt es nix zu deuteln.
Ebenso wenig, wie an der Tatsache, dass nur noch ein anderer Entwurf im Rennen ist, der ebenfalls keine völlige Freigabe des Glücksspielmarktes will. Diesem Entwurf etwas anderes zu unterstellen, wäre ebenfalls sehr gewagt.
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Die nähe der Herren Kubicki und Arp zur Wettindusdrie sollte eiegnetlich jedem zu denken geben. Befürworter der geplanten „Schleswig-Holsteiner Lösung” denen kann ich nur den nötigen Sachverstand absprechen. Die Krake Wettindusdrie ist offensichtlich weiter vorgedrungen als bisher gedacht.
Und es gibt immer wieder einige die einfach irgendwelchen unsinn nachplappern. In ein paar Jahren waren aber natürlich alle dagegen und niemand hat es so gewollt. Alles schonmal da gewesen früher haben einige gelaubt sie könnten „den einen” kontrolieren und das hat nicht geklappt.
Und heute glauben wieder eineige sie könnten die Wettindusdrie kontrolieren wenn man ihnen ein bischen vom „Kuchen” abgiebt. Nein das klappt nicht, DIE WOLLEN ALLES. Ihr werdet sehen ich hoffe Ihr steht dann immer noch zu Euere heutigen Meinung. Aber vermutlich nicht.
Gruß
Starke Behauptung. Aber wie lässt sich die bisher nur behauptete Nähe zur Wettindustrie denn belegen? Da habe ich außer Verschwörungstheorien noch nichts Belastbares gesehen…