Bereits vor einiger Zeit hatte Landesblogger Swen Wacker in seinem Artikel „Mehr Lehrerstellen: schlägt die FDP die CDU im Hase-und-Igel-Spiel?” über die Pläne der FDP berichtet, 300 Lehrerstellen weniger als geplant zu streichen. Doch das Tauziehen um die Umsetzung geht weiter und die Parteien in Schleswig-Holstein haben ihre jeweiligen Meinungen darüber, ob eine sogenannte Mehrinvestition in die Bildung nötig ist oder nicht und in welcher Form sie stattfinden kann.
In einer Pressemitteilung vom 1. Dezember rechtfertigte sich Bildungsminister Ekkehard Klug gegenüber den Vorwürfen der Elternverbände zu Kürzungen im Bereich der Bildungsaufwendungen mit den folgenden Worten:
„Derartige Behauptungen gehen völlig an der Realität vorbei. 10.000 Unterrichtsstunden mehr in diesem Schuljahr an den schleswig-holsteinischen Schulen sprechen eine deutliche Sprache”, sagte der Minister. Im Übrigen seien die Lehrerstellen im Land auf Rekordhöhe gewachsen, während die Schülerzahlen seit Jahren rückläufig seien: „In allen Schularten wird mehr Unterricht erteilt.”
Die Menge des erteilten Unterrichts ist dabei jedoch nur eine Komponente des Ganzen, denn nicht nur dafür werden Lehrerstunden gebraucht. In Schleswig-Holstein findet nach wie vor eine Entwicklung im schulischen Bereich statt, die aufgrund ihrer tiefgreifenden Veränderungen überaus zeitaufwändig ist, wenn sie effektiv umgesetzt werden will: das Konzept der Gemeinschaftsschulen, die seit 2007 im Entstehen begriffen sind. Dort wird auf das längere gemeinsame Lernen gesetzt und vorwiegend binnendifferenziert gearbeitet, da in den Klassen Kinder und Jugendliche mit Haupt-, Real- und Gymnasialempfehlung gemeinsam lernen. Das erfordert entsprechende schulinterne Absprachen und Förderkonzepte, damit sowohl die schwächeren Schüler gefördert, als auch die stärkeren Schüler gefordert werden. Ein wichtiger Bestandteil der Schulen ist deshalb das Vorhandensein von Differenzierungsstunden, damit kleinere Lerngruppen gebildet werden können oder der Unterricht in Teilen von zwei Lehrkräften durch „Teamteaching” erteilt werden können, um sich den Bedürfnissen der Schüler entsprechend widmen zu können.
Diese Differenzierungsstunden wurden in der aktuellen Legislaturperiode um die Hälfte gekürzt und standen den Gemeinschaftsschulen daher nicht mehr zur Verfügung. Nun spricht die gleiche Regierung, die die Kürzung vorgenommen hat, öffentlich von einer Anhebung der Stunden und will sich Jost de Jagers Aussagen nach in Kürze darüber verständigen:
„In der nächsten Sitzung des Koalitionsausschusses mit der FDP werde ich das zur Sprache bringen, um die Zahl der Differenzierungsstunden wieder anzuheben.”
Trotz der Tatsache, dass die Unterrichtsversorgung zwar abgedeckt ist, also jeder Schüler laut Stundenplan mit den ihm zustehenden Stunden versorgt wird, ist noch lange nicht gewährleistet, dass diese Stunden auch so effektiv eingesetzt werden können, wie das nach der Idee der Gemeinschaftsschulen nötig wäre. Denn Schulen im Wandel brauchen neben den Ressourcen für die Umsetzung neuer Konzepte auch Zeit und Ressourcen für eine effiziente Qualitätsentwicklung — vor allem, wenn sich die Rahmenbedingungen so häufig ändern, wie das in unserem Bundesland der Fall ist. So wurde allein in diesem Jahr in Sachen G8-G9-GY zurückgerudert und die Lehrerausbildung gravierend geändert, was vor allem für die Gemeinschaftsschulen eine Neuorientierung erfordert, die nicht mit minimalen Zeitbudgets umgesetzt werden kann. Doch das wird von der regierenden Koalition offensichtlich nicht entsprechend berücksichtigt. In einer Pressemitteilung erklärt die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Anke Erdmann:
„Für Schwarz-Gelb ist die Anzahl der Lehrerstellen scheinbar ein Pokerspiel. Wolfgang Kubicki möchte Probleme lösen, die die Schulen ohne ihn gar nicht hätten.”
In Bundesländern wie Baden-Württemberg werden beispielsweise an Schulen im Umgestaltungsprozess zusätzliche Stellen ausgeschrieben, die mit Lehrkräften besetzt werden, die sich für die Umsetzung von Qualitätsentwicklungsarbeit an der Schule fortgebildet haben. Des Weiteren werden dort den Schulleitungsteams zusätzliche Stunden zugewiesen, die sie für administrative und innovative Tätigkeiten nutzen können. Um das Lehrerkollegium nicht neben der eigenen Unterrichtstätigkeit und der Weiterentwicklung ihrer unterrichtlichen Methoden zu belasten, stehen Schulen je nach Größe eine bestimmte Menge an Stunden zu, die vorwiegend für den Vertretungsunterricht erkrankter Kollegen eingesetzt werden können. So ist eine Minimierung der Unterrichtsausfälle möglich. Vor allem Ganztagsschulen können die Verlässlichkeit garantieren, die sie den Eltern im Stadtteil bewusst gewählt haben. Und wenn kein Vertretungsunterricht nötig ist, können diese Kollegen als Zweitbesetzung mit in den Unterricht eines Kollegen gehen oder eine Kleingruppe nach Bedarf fördern.
Es wäre also mehr als wünschenswert, dass die Politiker in Schleswig-Holstein erkennen, dass 300 Lehrerstellen allenfalls ein erster richtiger Schritt sind, wenn die Bildung im eigenen Land von Schulen verschiedener Ausrichtungen qualitativ weiterentwickelt werden will.
Von Seiten der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) wurde die Diskussion durchaus positiv bewertet.
„Egal ob Opportunismus, Untergangsangst oder Einsicht: Ein guter Vorschlag wird nicht dadurch falsch, dass er von der FDP kommt. Deshalb sollten die Regierungsparteien sofort einen Nachtragshaushalt beschließen, in dem sie die Streichung von 300 Lehrerstellen rückgängig machen. Das hilft den Schulen mehr als jedes wahltaktische Geplänkel“,
kommentierte Matthias Heidn, Landesvorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, heute (7. Dezember) eine Presseerklärung des FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki vom selben Tag.
Der Koalitionsausschuss indes steht vor einer kniffeligen Aufgabe. Im Haushalt des Ministerium für Bildung und Kultur fallen auf Seite 238 zweimal je 300 Stellen weg. Die 300 Stellen, die die FDP jetzt gern nicht mehr gestrichen sehen würde, fallen am 31.07.2012 weg. Nur: dafür müsste der Haushalt geändert werden, also ein Nachtragshaushalt beschlossen werden. Deshalb muss Wolfgang Kubicki den Finanzminister ins Boot holen:
„Seine Ankündigung, mit uns darüber im Koalitionsausschuss sprechen zu wollen, freut mich – ich gehe allerdings davon aus, dass wir gemeinsam auch den Finanzminister überzeugen müssen.“
Das wird nicht einfach werden, nicht nur wegen der Frage nach der Gegenfinanzierung. Denn auch Jost de Jager will keinen Nachtragshaushalt. Einigte man sich nun auf eine Lösung, in dem erst 2013 (für dieses Jahr gibt es noch keinen Haushaltsplan) 300 Stellen nicht gestrichen werden, dann sähe sich die FDP dem Vorwurf ausgesetzt, als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet zu sein.
Stellt sich die Frage, warum die FDP solche Forderungen rausfährt — ihren Minister aber damit beschädigt.
Pressemitteilung
Der Landeselternbeirat der Regionalschulen zum Vorschlag vom Wissenschaftsminister Herrn Jost de Jager, die Differnzierungsstunden an Gemeinschaftsschulen wieder aufzustocken.
„Weitere Disparitäten in der Schullandschaft zu schaffen und die Regionalschule in der Diskussion um die Aufstockung der Differenzierungsstunden gänzlich unerwähnt zu lassen, das ist für uns nicht hinnehmbar!“, sagt der Landeselternbeiratsvorsitzende der Regionalschulen Jörg Wischermann.
Die Situation an den Regionalschulen zeigt deutlich, dass wie auch an den Gemeinschaftsschulen eine individuellere Förderung einzelner SchülerInnen innerhalb von Lerngruppen ermöglicht werden muss.
Eine Wiederaufstockung um 100% ‐auf 4 Unterrichtseinheiten‐ als Forder‐ und Förderstunden ist somit unerlässlich und zeigt überdeutlich, dass Stellenstreichungen unverantwortlich sind.
Die Schüler und Lehrkräfte aller Schularten bei der Gestaltung von erfolgreichem Unterricht zu unterstützen sollte das Ziel unserer Bildungspolitik sein, nicht aber Wahlkampf auf dem Rücken der Regionalschulen!