
Mehr Loch als Straße. So sieht es vielerorts aus in Deutschland
„Wer Angst hat, abgewählt zu werden, weil er für reparierte Straßen zusätzlich 100 € im Jahr von den Menschen verlangt, der wird irgendwann abgewählt, weil dieselben Menschen nicht mehr über unsere Straßen vernünftig zur Arbeit fahren können.” Mitten hinein in die mediale Flaute ließ Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) am Osterwochenende seine Autobombe platzen. Die Infrastruktur in Deutschland sei marode und für die Reparatur sei zu wenig Geld da. Sieben Milliarden Euro extra pro Jahr müssten bereitgestellt werden. Bund, Länder und Gemeinden müsste ihren Beitrag unter der Bedingung der Schuldenbremse leisten. Die LKW-Maut solle ausgeweitet werden und zu guter Letzt sollten auch die Autofahrer mehr zahlen: „Am Ende werden wir in irgend einer Form alle Nutzer heranziehen müssen.” Der Sturm der Entrüstung traf wie erwartet ein. Gegen Autofahrer sollte man nichts sagen.
Hunderte aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger meldeten sich per Facebook beim Ministerpräsidenten und Oppositionsführer Johannes Callsen (CDU) kommentierte: „Die Reaktionen der Menschen zeigen eindeutig, dass sie sich von Albig nicht für dumm verkaufen lassen. Sie wissen, dass es Albig nicht um bessere Straßen geht. Sonst würde seine Regierung in Kiel andere Prioritäten setzen.” Und auch Christopher Vogt (FDP) fand die Autofahrer seien schon seit langem die „Melkkuh der Nation” und sagte fast prophetisch: „Die Rekordsteuereinnahmen und die Albig-Maut können selbst für Sozialdemokraten nicht zusammenpassen.” So kam dummerweise am nächsten Tag auch noch die Meldung, dass der Staat Rekordeinnahmen gerade verzeichne.
Aber auch in der eigenen Partei teilte man vor allem die Analyse des Straßenzustands. SPD-Landeschef Ralf Stegner machte ihm unter Hinweis auf den Vertrag der Großen Koalition in Berlin wenig Hoffnung für Sondersteuern: „Im Koalitionsvertrag hat die CDU auf ihrem Steuererhöhungs-Tabu bestanden. Dadurch sind viele Verbesserungen, die die SPD für richtig hält – von Bildung über Rente bis zu weiteren Mitteln für Infrastruktur – nicht realisierbar.” Vor allem müsste eine Lösung aber sozialverträglich ausgestaltet werden. In diese Kerbe schlägt Patrick Breyer (Piratenpartei). Seiner Meinung nach sei eine einkommens- und verbrauchsunabhängige 100-Euro-Abgabe für alle gleichermaßen „unsozial wie unökologisch.” Obwohl das so konkret auch gar nicht aus Albigs Vorschlag hervorging.
Aufmerksamkeit für sich und das Problem der Verkehrsinfrastruktur hat Torsten Albig aber auch über die Grenze Schleswig-Holsteins hinaus gefunden: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) äußerte sich. Selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gerade als Wirtschaftsminister in China unterwegs war, sah sich gezwungen, Stellung zu nehmen. Oder wie es Christopher Vogt sagte: „Immerhin hat Herr Albig sein Hauptziel erreicht: Man kennt ihn nun auch außerhalb unseres Bundeslandes. Ob er mit seinem Vorstoß sonst noch was Positives erreicht hat, darf man jedoch bezweifeln.” Für Albigs Parteifreunde, die gerade zu Kommunal- und Europawahlen an den Infoständen im ganzen Land stehen, wohl eher nicht. Und die WELT nennt ihn inzwischen den „Seehofer des Nordens”.
Doch tatsächlich eine Debatte begonnen: Der Deutschlandfunk diskutiert mit seinen Hörerinnen und Hörern und selbst der Bundesrechnungshof äußerte sich. Der sieht die Schuld für den schlechten Zustand der Straßen darin, dass das Bundesverkehrsministerium lieber neue Straßen baut, als alte zu reparieren. Das kann man dem Ministerpräsidenten nicht vorwerfen. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SSW stehen die größten Batzen im Straßenbau in Schleswig-Holstein: A20-Ausbau bis zur Elbe und die Hinterlandanbindung für die Fehmarnbelt-Querung mit dicken Fragezeichen:
A20: „Die Koalitionspartner stellen fest, dass im Hinblick auf zeitliche und finanzielle Realisierungsmöglichkeiten der A20 von der Bundesregierung völlig unrealistische Erwartungen in der Öffentlichkeit verbreitet werden. Es ist festzuhalten, dass der Bundesverkehrswegeplan hoffnungslos unterfinanziert ist und angesichts der Zuweisungen an Schleswig-Holstein es keinerlei gesicherte Zeitplanung – unabhängig von Positionierungen von Parteien hier im Land – gibt.”
Fehmarnbeltquerung: „Die Koalitionspartner nehmen zur Kenntnis, dass sich die ursprünglich auf 800 Millionen Euro angesetzten Kosten für die Hinterlandanbindung nach Schätzungen des Bundesrechnungshofes vom April 2009 auf mindestens 1,7 Milliarden Euro erhöht haben. Deshalb wird die Landesregierung die Bundesregierung auffordern, eine Überprüfung der Kostenschätzung und des Nutzen-Kostenverhältnisses vorzunehmen.”
Jede dritte Straße in Schleswig-Holstein ist marode
Und als es im letzten Jahr einige Millionen extra durch die neu berechneten Einwohnerzahlen gab, hat Albigs Regierung davon einen Teil in ein Sondervermögen zur Sanierung der Verkehrsinfrastruktur gesteckt. Dennoch ist jede dritte Straße in Schleswig-Holstein marode: Laut Verkehrsministerium sind rund 1.160 Kilometer Landesstraßen in Schleswig-Holstein reparaturbedürftig — Fast ein Drittel. Laut Staatskanzlei sind in den kommenden zehn Jahren insgesamt 900 Millionen Euro — 90 Millionen pro Jahr — erforderlich, um den Sanierungsstau bei Landesstraßen abzubauen. Es stehen aber nur 57,5 Millionen Euro zur Verfügung.
Die Straßen wurde in einer Zeit ausgebaut, als sie als Investition betrachtet wurden. Die öffentliche Hand hat damals, wie es auch bei Unternehmen üblich ist, Schulden gemacht, um die Straßen zu finanzieren. Die Hoffnung war, dass sich diese Investitionen über eine stärkere Wirtschaft und die Steuereinnahmen rentiert. Heute verbietet das die Schuldenbremse. Ab 2020 darf das Land keine neuen Kredite aufnehmen und bis dahin weiter kürzen, um das zu erreichen.
Ausgaben senken
Um die Relationen mal deutlich zu machen: Die sieben Milliarden Euro jährlich, die Albig in seinem Interview jährlich zusätzlich bundesweit beziffert, entsprechen in etwa dem Budget des Familienministeriums — samt Elterngeld. In diesem Umfang muss man erst einmal schaffen zu sparen. Und das zusätzlich zu dem, was der Bund ohnehin schon zur Einhaltung der Schuldenbremse einsparen muss. Die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (CDU) bekannte kürzlich in einem Interview mit der WELT, dass sich ihr Bundesland im Haushaltsnotstand zum Teil den Eigenanteil für die Bundeszuschüsse bei der Straßensanierung nicht leisten könne.
Einnahmen erhöhen
Deshalb liegt es nahe, auch auf die Einnahmeseite zu schauen. Dort stehen zur Zeit ungefähr 50 Milliarden Euro aus KFZ-, Energie- und Mehrwertsteuer. Die Technische Universität Dresden hat allerdings im letzten Jahr festgestellt, dass der Autoverkehr jährlich Kosten in der Höhe von 90 Milliarden erzeugt. Da wäre also noch etwas Argumentationsspielraum.
Nichts tun
Die dritte Möglichkeit ist, von der Substanz zu leben. Und das ist, was zur Zeit passiert.
Links
- Karsten Lucke: Albig und der „Schlagloch-Soli“ – was das über Politik verrät
- Sebastian Schack: Gedanken zu Albigs Maut-Forderung
Es ist leicht, in diesem Fall auf die Verursacherseite zu sehen — aber ist es auch fair? Albig unterschlägt in seinem Vorstoß einige Faktoren. Erstens: Die meisten Schäden an der Infrastruktur werden durch die Logistik, sprich den Schwerlastverkehr, verursacht — nicht durch den Pkw-Verkehr. Bei den Lastwagen gibt es aberschon das Regulierungsinstrument Maut, dessen preisliche Auswirkungen letztlich von den Konsumenten dieser transportierten Güter getragen werden müssen. Zweitens: An den Schrauben für die Pkw-Fahrer kann natürlich auch noch „gedreht” werden. Allerdings waren es (auch) politische Vorgaben, die erst zu diesem Zuwachs im Individualverkehr führten: Verlangen nach schier grenzenloser Mobilität und Flexibiliät der Arbeitnehmer — ohne eine verkehrliche Alternative zu fördern oder gar zu schaffen. Der Aufschrei der Autofahrer ist deshalb jetzt nicht in ersterLinie die bezahlte Wut der Kfz-Lobby, sondern weitestgehend der Ärger über das nicht unberechtigte Gefühl, für die Situation gemolken zu werden, in die man erst von außen gedrängt worden ist.
Herr Albig hat ja auch Beiträge von Bund, Ländern und Gemeinden eingefordert und vor allem auch von einer Ausweitung der LKW-Maut gesprochen: „Wir werden diejenigen, die unsere Straßen stark belasten, deutlich stärker an den Kosten zur Sanierung unserer Infrastruktur beteiligen müssen. Zum Beispiel über eine Lkw-Maut für alle LKW und sonstigen Schwerlastfahrzeuge auf allen Straßen. Das hilft schon sehr.”
Es wird aber nur über die PKW diskutiert.
100,- € = 1 x Volltanken: für die meisten eine Lachnummer.
Andererseits, wenn man die Geldverschwendung durch Strassenbauprojkete minimieren würde, dann braucht es auch die 100,- € nicht. Deutsche Strassen werden „mit Gürtel und Hosenträger” gebaut und die Ausschreibungen sind undurchsichtig. Alternativen gibt es — in Dänemark kostet das Strassennetz nur halb so viel wie hier — bei insg. höheheren Preisen! Wenn man zugute hält, dass im Mittel dort weniger Verkehr herscht, ok: ein Drittel ist immer noch drin, das sind Milliarden! Vgl. http://www.gsa-mbh.com! Grüsse, Michael
Herr Albig fokussiert sich auf die zusätzliche Finanzierung unserer Straßen . Zahlen wir diesen „Solidarbeitrag” auch bald für marode Schulen, Freibäder, Büchereien usw. usw. ? Die Steuereinnahmen sprudeln , ist das Geld vielleicht nur falsch verteilt ?. Es wird Zeit, das die Politik endlich eine Wertedebatte über die Zukunft Deutschlands beginnt.
Als Ergänzung zwei Thesen: 1) Die Bahn muss in den Erhalt ihrer Trassen investieren, also finanzieren auch Eigentümer der Busse, Pkws, Motorräder und Lkws das Straßennetz mit. 2) Martin Schulz verknüpfte gestern im ZDF Wahlduell den Schlaglochsoli mit Steuergerechtigkeit. Er forderte, dass international agierende Konzerne ihre Gewinne dort versteuern müssten, wo sie entstehen, anstatt dort, wo es für sie am günstigsten ist. Als Beispiel nannte er die 2 Milliarden Euro, die Google in Deutschland erzielt, aber angeblich nicht hier versteuert. Jean-Claude Junker verwies zudem mehrfach auf die deutsche Praxis, Unternehmern Möglichkeiten der Steuerminderung auf ihre Veräußerungsgewinne zu gewähren. Beides sind ungenutzte Einnahmequellen, mit denen Infrastruktur in Deutschland zu finanzieren wäre.
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Ich fahre oft durch kleine Dörfer und Gemeinden in Schlagloch-Holstein. Habe ich den Ort auf seiner verrotteten Hauptstrasse durchquert lese ich fast immer „Kiek mol wedder in!”. Nee, ganz bestimmt nicht. Der Weg zum Dorf war schon eine Katastrophe, der Weg durch’s Dorf eine Zumutung von einer Katastrophe und auf dem Weg aus dem Dorf hat mein Kopf so gewackelt dass ich das „Kiek mol wedder in!” Schild eigentlich gar nicht lesen konnte. Manchmal sehnt man sich nach einer vergleichsweise besser befahrbaren Kopfsteinpflaster- oder Ackerpiste, so kaputt sind viele Strassen.
Unsere Fahrzeuge sind oft nicht für solche Strassenverhältnisse gebaut. Wer viel über Land fährt braucht schon ein geeignetes Fahrzeug, sonst sind die oft etwas empfindlichen Fahrwerke unserer Limousinen weit vor der Zeit hin. Sogar Russland hat inzwischen bessere Strassen. Das bedeutet, dass ich nicht mal als Tourist für 2 Wochen über so grenzenlos kaputte Strassen fahren möchte. Da fliege ich lieber ins Ausland und miete mir da einen Wagen.
Es hat schon einen guten Grund warum die hochwertigen Fahrzeuge des Sylt-Publikums mit der Bahn nach Westerland gebracht werden. Gäbe es diese Verbindung nicht und die müssten ihre Luxusautos über die nach Norden hin immer gruseliger werdende B5 scheppern lassen, wäre Sylt in 2 Jahren pleite weil da keiner mehr hinfahren will und dabei ist das noch eine der besseren Strassen in S-H. Hinter Pinneberg wird ja sogar schon die A23 bei höheren Geschwindigkeiten lebensgefährlich. Abseits der Hauptrouten, vielleicht auf einem Dorf „Urlaub auf dem Bauernhof” zu machen ist nur noch für Leute, denen ihr 1000€-Citroen ohnehin nichts wert ist. Man muss die Landschaft wirklich sehr lieben, um dafür sein geliebtes Auto zugrunde zu richten. Schlechte Strassen = weniger Tourismus = weniger Steuern = noch schlechtere Strassen.
Zu verantworten haben das ausschliesslich unsere letzten 3 – 10 Regierungen, die Steuern grundsätzlich für etwas ausgeben, wofür sie nicht gedacht waren und sich nicht einmal dafür rechtfertigen müssen. Die Zeche zahlt jetzt schon der kleine Ferienwohnungsvermieter und der Rest der mageren „Struktur” in diesem Land. Nun soll der ohnehin schon verschleissgeschädigte PKW-Fahrer auch noch mal obendrauf zahlen, damit noch mehr Geld für vermurkste Drohnen, schwarze Koffer und Bankenrettungen in Weiss-der-Geier-wo zur Verfügung steht.
So ist das eben wenn Politiker mit Fahrzeugen, die sie nicht selber bezahlen müssen und nicht selber fahren müssen zur Arbeit gefahren werden.