
Kritik an der Vorratsdatenspeicherung vor dem Reichstag | CC-BY
Es gibt da einen politischen Reflex. Immer wieder, wenn ein Verfassungsgericht ein Gesetz kassiert, kann man ihn beobachten: Diejenigen, die da gerade eine dicke Klatsche bekommen haben, werde sagen „Wir danken dem Gericht, dass es endlich Rechtsklarheit geschaffen hat.” Gestern hat sich der Europäischen Gerichtshof (EuGH) zum ersten Mal als europäisches Verfassungsgericht betätigt und festgestellt, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig ist. Und da war der Reflex! Die CDU-Fraktion feierte „Endlich gibt es Rechtssicherheit.” Doch auch SPD-Innenminister Andreas Breitner freute sich: „Für die Vorratsdatenspeicherung bleibt der Weg frei.” Heute gab es nun eine Aktuelle Stunde im Landtag zu dem Urteil.
Eigentlich ist die Frage für Schleswig-Holstein geklärt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SSW steht: „Die Vorratsdatenspeicherung ist ein hochproblematischer Eingriff in die Grundrechte. Deshalb werden wir uns auf Europa- und Bundesebene im Bundesrat und der Innenministerkonferenz gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung einsetzen.” Und gemeinsam mit den Stimmen der Piratenpartei ist noch einmal ein gleich lautender Beschluss gefasst worden.
Und so blieb auch in der Aktuellen Stunde klar: CDU und SPD-Innenminister freuen sich darüber, dass der EuGH endlich klar gesagt hat, wie eine rechtskonforme Vorratsdatenspeicherung aussehen soll. Die Fraktionen der SPD, Grünen, SSW, FDP und Piratenpartei haben das Urteil als klare Absage an die massenhafte Sammlung von Kommunikationsdaten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger begrüßt.
„Der Weg ist also frei”
So tat es zum Beispiel der Piraten-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer — Dr. Axel Bernstein von der CDU beschied ihm dafür, Patrick Breyer haben sich damit einmal mehr um einen Platz in der Arbeitsgruppe „Selektive Wahrnehmung” beworben und beharrte darauf, dass das EuGH nur die Vorratsdatenspeicherung in der Form der bisherigen Richtline, nicht aber der Vorratsdatenspeicherung an sich eine Absage erteilt habe: „Der EuGH hat mit seinem Urteil klar gestellt, dass gegen die Vorratsdatenspeicherung an sich keine Bedenken bestehen. Entscheidend ist die Ausgestaltung. Hier hat das Gericht klare Richtlinien definiert, die nun in einem entsprechenden Bundesgesetz umgesetzt werden müssen. Diese Vorgaben entsprechen im Übrigen auch dem, was CDU, CSU und SPD auf Bundesebene verabredet haben.” Der Weg sei also frei.
Der SPD-Abgeordnete Dr. Kai Dolgner wies darauf hin, dass die der EuGH zwar anerkannt hat, dass es einen Wunsch gibt, Vorratsdaten zur Verbrechensbekämpfung zu nutzen. Dass das aber nur ginge, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden könnten, um den Grundrechtseingriff nicht zu pauschal und zu tief zu fassen. Dr. Dolgner bezweifelte, dass zum Beispiel die Kriterien zum Schutz von Geheimnisträgern überhaupt erfüllbar seien: „Haben alle unzähligen Diensteanbieter zukünftig Filterlisten, die die Speicherung von IP-Adressen, Telefonverbindungsdaten etc. verhindern, sobald nur ein Kommunikationsteilnehmer Geistlicher, Anwalt, Abgeordneter, Sucht- oder Schwangerschaftskonfliktberater ist? Wer erstellt, pflegt und vor allem schützt diese Listen vor dem unbefugten Zugriff Dritter?”
Verstimmt über die Presse-Äußerungen des Innenministers zeigte sich der Grüne Abgeordnete Rasmus Andresen. Der drohte auch andere Bürgerrechtsthemen aus dem Koalitionsvertrag wieder neu zu verhandeln, wenn Innenminister Breitner nicht den Willen des Landtages anerkenne und seinen Kampf für die Vorratsdatenspeicherung aufgeben.
„Ein klarer Sieg des Rechtsstaates”
Für die FDP-Fraktion sprach Wolfgang Kubicki sich dafür aus, das Thema Vorratsdatenspeicherung ein für alle mal zu begraben: „Die Richtlinie der Europäischen Kommission ist nicht eingeschränkt gültig, sondern sie ist insgesamt ungültig. Mit anderen Worten: Auf dieser Grundlage kann man keine nationale Regelung ins Werk setzen. Die Vorratsdatenspeicherung ist damit Geschichte.” Er setzte sich für das FDP-Konzept eines „Quick Freeze” als Ersatz ein. Dann werden nicht pauschal alle Daten gespeichert — die Polizei beantragt dann im konkreten Verdachtsfall, dass ab sofort die Telekommunikationsfirmen alle zu dem Fall gehörigen Daten speichern.
Innenminister Breitner betonte noch einmal die Aussagen in seiner Pressemitteilung ist stellte sich auf die Linie der CDU: „Mit seiner Entscheidung hat der EuGH die rechtliche Seite eines verfassungsfesten und grundrechtskonformen Regelungskorridors ausgeleuchtet. Dank dieser Vorgaben kennen wir jetzt die Bedingungen für eine rechtssichere Regelung.”
Im Anschluss an die Aktuelle Stunde forderte der Piraten-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer Ministerpräsident Albig auf, seinem Innenminister die Verantwortung für das Thema Vorratsdatenspeicherung zu entziehen: „Herr Innenminister, wenn sich der von Ihnen unterzeichnete Koalitionsvertrag gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung ausspricht, wenn der Landtag sie mit verfassungsändernder Mehrheit ablehnt, wenn zwei Drittel der Bevölkerung sie nicht wollen, wenn das Bundesverfassungsgericht das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippt und der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie — was braucht es noch, um Sie zur Einsicht zu bewegen? Warten Sie darauf, dass auch noch der Seegerichtshof in Hamburg oder das Amtsgericht Rendsburg so entscheidet? Dieser Innenminister ist offensichtlich aussichtsloser Fall. Da hilft nur eins: Herr Ministerpräsident Albig, machen Sie Verhinderung der Vorratsdatenspeicherung zur Chefsache! Entziehen Sie Ihrem Innenminister die Zuständigkeit dafür und nehmen Sie selbst das Ruder in die Hand!”
Klar ist nach der Debatte: Die Vorratsdatenspeicherung ist damit nicht so tot, wie ihre Gegner gehofft haben. Ihre Befürworter haben aber auch kein eindeutiges Mandat zur Einführung bekommen. Das Gericht hat sich insofern zurückgehalten und Platz für Politik gelassen. Wer aber zwischen den Zeilen lesen kann, wird erkennen, dass da faktisch kein „Regelungskorridor” bleibt. Wenn es denn tatsächlich Probleme bei der Strafverfolgung gibt, muss die Politik sie anders lösen.
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